Die größte Passivhaus-Siedlung der Welt setzt Meilen­steine. Viele junge Familien und Unter­nehmen lassen sich hier nieder. „Eines der größten Stadt­ent­wick­lungs­pro­jekte in Deutsch­land“ ist in vielen Bereichen sehr gut. Das Internet gehört leider nicht dazu. In der Bahnstadt in Heidelberg macht das Internet den Eindruck eher „Neuland“ zu sein.

Ja, natürlich funktio­niert es. Natürlich gab es das alles schon schlimmer. Aber das dürfte wohl kaum ein sinnvoller Vergleich für eines der innova­tivsten Baupro­jekte der letzten Jahre sein. Wo liegt also das Problem? Die Qualität der verlegten Leitungen und der Anbindung an die Inter­net­knoten ist für „Normal­bürger“ sicher schwer einschätzbar. Glasfaser sei der modernste Standard heutzu­tage. Also muss es doch gut sein. Denken viele – ist nur leider nicht unbedingt richtig. Tatsächlich liegt das Problem eher bei der Gestaltung der Produkte, die diese Leitungen nutzen. Ein NGA-Netz (Next Generation Access), wie Glasfaser, kann auch den Zielen der zukünf­tigen EU-Bestrebungen für 2018 und 2020 gerecht werden.

Die Produkte dafür zu gestalten, liegt aber in der Hand der Anbieter. Leider lassen sich diese derart lumpen, dass wir nur mit Mühe und Not nicht als förde­rungs­fä­higer „weißer Fleck“ gelten. Das ist wirklich beachtlich für ein mit Glasfaser versorgtes Neubau­ge­biet. Auch das dürfte einmalig sein.

Wie früher im DSL-Geschäft, wird immer gern mit Download-Raten geworben. Das ist aber so, als würde man die Qualität einer Mahlzeit nur anhand einer einzelnen Zutat bewerten. Eine einzige schlechte Zutat kann aber ein ganzes Gericht versauen. So ähnlich ist es mit den Inter­ne­t­an­schlüssen in der Bahnstadt. Die Geschwin­digkeit hängt sowohl am Download, als auch am Upload. Beide beein­flussen sich gegen­seitig. Jedes „Päck­chen“, das empfangen wird (Down­load), muss quittiert werden (Upload). Ein langsamer Upload reduziert damit die praktisch erzielbare Reaktions- und Download-Geschwin­digkeit.

Download und Upload sind seit den anfäng­lichen DSL-Zeiten asynchron: Der Download ist immer viel schneller, als der Upload gewesen. Das machte früher eventuell auch mal Sinn. Heute nicht mehr so sehr. Industrie 4.0, Big Data, Cloud Computing und die zuneh­mende Digita­li­sierung des Alltags sind real. Teilen Sie Fotos mit Freunden oder lassen Sie welche online entwi­ckeln? Nutzen Sie Dropbox oder andere Online-Festplatten? Verbinden Sie sich mit entfernten Servern oder Ihrem Arbeitsplatz-PC in der Firma? Nutzen Sie Video­te­le­fonie mit Skype oder FaceTime? Verschicken Sie Anhänge per Email? Nutzen Sie die iCloud-Funktionalität Ihres iPhones? … Haben Sie sich dabei erwischt, „ja“ zu sagen? Dann haben Sie in der Bahnstadt ein Problem. Das ist Fakt.

Mehr als prozen­tuale Unter­schiede

Fotos hochladen

Nur eine Hand voll Fotos in mittlerer Qualität (5 Stück, ca 25MB) mit Freunden zu teilen kann dauern:

  • „Private 50“ von Premi­umTK: mehr als 2 Minuten
  • „3Play Smart 50“ von KabelBW: unter 90 Sekunden
  • „Zu Hause M“ der Deutschen Telekom: rund 20 Sekunden
  • „Zu Hause M Glasfaser“ der Deutschen Telekom: rund 4 Sekunden

Dateien hochladen

Fotos sind dabei noch harmlos. Es gibt aber Internet-Dienste, die schnell die Gigabytes überschreiten. Bei Dropbox bekommen Sie kostenlos 2GB als Online­fest­platte. Beim Mediencenter der Deutschen Telekom sogar 25GB. Die wollen erst mal befüllt werden.

2GB Daten hochladen im Vergleich:

  • „Private 50“ von Premi­umTK: mehr als 3 Stunden
  • „3Play Smart 50“ von KabelBW: unter 2 Stunden
  • „Zu Hause M“ der Deutschen Telekom: weniger als 30 Minuten
  • „Zu Hause M Glasfaser“ der Deutschen Telekom: rund 5 Minuten

Fazit

Selbst der Monitoring Bericht des BMWi kommt zu dem Schluss, dass der Upload immer wichtiger wird. Umso inter­essanter, dass die Manet schon 2011 wie folgt geworben hat: „Mit dem Anschluss an die virtuelle Welt per Hochge­schwin­dig­keitsnetz setzt dieser Stadtteil […] auch in Sachen Telekom­mu­ni­kation Standards für die Zukunft.“ Aus einer Presse­mit­teilung der Pfalzcom/Manet

Die Tarife, die in der Bahnstadt angeboten werden, haben recht ordent­liche Download-Raten, aber nur minimale Upload-Raten. Die Upload-Rate ist in der Tat so winzig, dass selbst tradi­tio­nelle Techno­logien wie DSL und Kabel, oder sogar Mobil­funk­tarife mehr anbieten. Das ist lächer­lich. Die Ansprüche an moderne NGA-Netze wie Glasfaser sind weit höher (bis zu 20-fach). Die Konkurrenz in anderen Städten spielt daher logischer­weise in einer ganz anderen Liga.

Fazit: Die Infra­struktur der Bahnstadt sollte ursprünglich für unter­schied­liche Anbieter zur Verfügung stehen. Das hat bis heute nicht funktio­niert – nicht mal im Ansatz. Keiner der Anwohner hatte beim Einzug eine Wahl. Wo sind die Deutsche Telekom, KabelBW, Vodafone und 1&1? Die angebo­tenen Tarife sind nach Augenwischerei-Taktik aufge­baut. Viel versprochen – wenig gehalten. Zukunfts­ori­en­tie­rung, Fehlan­zeige. Gerade Premi­umTK, die den Großteil der Bahnstadt versorgen, brillieren mit den im natio­nalen Vergleich schlech­testen Tarifen. Monopole sind immer gefähr­lich. Das muss sich ändern.

Die Bahnstadt besitzt eine moderne Internet-Infrastruktur. Jetzt bedarf es passender Produkte und einer größeren Anbie­ter­aus­wahl, damit Versprechen gehalten und Erwar­tungen erfüllt werden. Das Bahnstadt-Image eines hochmo­dernen Stadt­teils soll ja keinen Schaden nehmen.

Bahnstadt-Info

Zuerst erschienen in der Bahnstadt-Info März 2015 (Nr. 30 vom 20.03.2015).